In den letzten Jahrzehnten wurde die Herstellung von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen (API) im Rahmen der Globalisierung oft nach Asien verlagert. Der Kostenvorteil ist jedoch mit einer hohen Abhängigkeit von funktionierenden Lieferketten verbunden. Die hohen Qualitätsansprüche der Branche werden mitunter nicht ausreichend eingehalten – Rückrufe oder Lieferausfälle aufgrund von Mängeln sind zunehmend die Folge.
Aufgrund der Engpässe im Zusammenhang mit der Corona-Krise im Jahr 2020 legen verschiedene Staaten nationale Sonderprogramme auf, um Wirkstoffproduktionen wieder auf heimischem Boden sicherzustellen. Mehrere EU-Staaten und asiatische Länder erstellen derzeit Listen essenzieller APIs für die Lokalisierung. Als erstes Land hat Indien eine Liste mit 53 von der Regierung identifizierten APIs veröffentlicht.
Die Planung, Errichtung und Inbetriebnahme von neuen Wirkstoffanlagen kann durch Modularisierung und die Verwendung von Funktions-Typicals in der Verfahrensplanung effektiver gestaltet werden. Glatt Ingenieurtechnik plant und baut entsprechende Produktionsanlagen für internationale Kunden im Bereich Pharmazie, Feinchemie und Nahrungsmittel. Die Vorgehensweise des Anlagenbauers, hier gezeigt am Beispiel einer chemischen Syntheseanlage, ist auch für andere Anlagentypen anwendbar.
Verfahrenstechnische Modularisierung einer Syntheseanlage
Eine Wirkstoffsyntheseanlage besteht aus einer hochkomplexen Struktur verschiedener Ausrüstungen und Teilanlagen, die verfahrenstechnisch detailliert aufeinander abgestimmt werden müssen, aber einen sehr hohen Wiederholeffekt der Prozessfunktionen aufweisen (Abb.1). Bereits im Anlagenkonzept müssen deshalb Strukturierungen der Prozessanlagen vorgenommen werden. Module und Package Units verfügen über steuerbare Funktionen der Verfahrenstechnik. Grundapparate sind passive, ungesteuerte Behälter und Apparate, die durch Verwendung von so genannten Funktions-Typicals zu Modulen zusammengefasst werden. Jedes steuerbare Element der gesamten Produktionsanlage ist genau einem Modul zugeordnet (Abb. 2).
Vorteile von Funktions-Typicals
Auf verfahrenstechnischer Ebene werden Prozessfunktionen festgelegt und kategorisiert, zum Beispiel die Zugabe von Flüssigkeiten und Feststoffen oder die Temperierung eines Behälters. So lassen sich wiederholt auftretende Prozessaufgaben, Funktionalitäten und Automatisierungslösungen zusammenfassen. Damit werden die Erstellung und Bearbeitung der Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema (engl.: Piping and Instrumentation Diagram oder P&ID) sowie Automatisierungssequenzen vereinheitlicht. Das P&ID ist das Leitdokument für den Anlagenbau, in dem die entscheidenden Prozesszustände und -funktionen vorausgedacht, visualisiert und die wichtigsten logischen Schrittketten der Prozesssteuerung dargestellt werden.
Verschiedene Funktions-Typicals werden, abgestimmt mit dem Auftraggeber/Anlagenbetreiber, vor der generellen P&ID-Bearbeitung unter Verwendung einer vorhandenen Bibliothek erstellt. Einzelne Funktionsbausteine, wie etwa die geschlossene Dosierung von flüssigen Kleinmengen in einen Behälter, sind relevant für eine Vielzahl von prozesstechnischen Ausrüstungen, wie chemische Reaktoren, Extraktoren oder Ansatzbehälter. Der Algorithmus eines solchen Typicals lässt sich also auf zahlreiche Prozessausrüstungen übertragen. Daraus ergeben sich wichtige Vorteile in Bezug auf die Faktoren Kosten, Zeit und Planungsaufwand der verschiedenen Projektstadien:
Während der Prozessplanung:
- Schnellere und homogene P&ID-Erstellung
- einfachere Aktualisierung der Dokumentation
- Identifikation von Fehlerursachen
- deutliche Eingrenzung von Fehlerursachen und ‚individuellem Bearbeiterstil‘
- Beschleunigung der 3D-CAD-Anlagenplanung durch hinterlegte Module/Typicals
- Vereinfachung des Qualifizierungsplanes durch Wiederholungseffekte
Bei der Automatisierung:
- Standardisierung der Schnittstelle Verfahrensingenieur – ausführender Programmierer
- Reduzierter Programmieraufwand
- Einheitliche Datenübergabepunkte an das Automatisierungssystem
- Wiederholeffekte bei Tests der Automatisierungssequenzen
- Schnellerer Start-up der Module
- Geringerer Qualifizierungsaufwand
Im Anlagenbetrieb:
- Einheitliche Bedienkonzepte für das Betreiberpersonal
- Einheitliche Konzepte für die Störungssuche und Fehlerkorrekturen
- Kompakteres Wartungs- und Instandhaltungskonzept
- Unkomplizierte spätere Erweiterung und Modernisierung von Bestandsanlagen
Modulares Automatisierungskonzept
Das modularisierte Anlagenkonzept ist die Basis für eine Modularisierung der Automation. Es ermöglicht, eigenständige Steuerungssysteme für die Module und deren Grundapparate zu integrieren – unter Berücksichtigung der jeweils geltenden GMP-Anforderungen. Die Validierung der Prozessanlage schließt den risikobasierten Ansatz für GxP-konforme Computersysteme gemäß ISPE Guide GAMP® 5 ein. Einige Automationssysteme müssen auch die Anforderungen von 21 CFR part 11 für Batch Recording und elektronische Unterschriften erfüllen. Die Tendenz geht zu autonomen, dezentralen Systemen, die interne Abläufe der Module mit eigener Steuerung überwachen können. Bevorzugt werden dabei einheitliche, offene und herstellerunabhängige Kommunikationssysteme mit Schnittstellenarchitektur, die die Integration von Prozessen mit dezentralen Steuerungen und von Package Units erlauben. Grundlegende Automatisierungsstandards für die modulare pharmazeutische Produktion vereinheitlichen die Schnittstellen für den Datentransfer. Hierfür wurde das Modul Type Package (MTP) entwickelt, das eine einfache Integration in Automatisierungssysteme und die notwendige einheitliche Kommunikation ermöglicht. Die Beschreibungen der zugrundeliegenden Prozessfunktionen sind essentiell für das gesamte Automatisierungssystem. Durch den Einsatz von Funktions-Typicals können standardisierte Funktionsbeschreibungen für die Programmierung von Schrittfolgen deutlich einfacher und strukturierter erstellt werden.
Fazit: deutliche Reduktion der Investitionskosten und Realisierungszeiträume
Die konsequente Modularisierung der Produktionsanlage und die Verwendung einer Bibliothek von Funktions-Typicals in der Planung führen zu einer Effizienzerhöhung in den verschiedenen Projektphasen von pharmazeutischen Produktionsanlagen. Diese Methodik eignet sich auch für aktuell angekündigte Vorhaben zur Relokalisierung von API-Produktionen in Europa.
Eine modulübergreifende Anlagenplanung führt zusätzlich zu deutlichen Synergieeffekten bei der stofflichen und energetischen Auslegung der Module und kann die Herstellkosten der Wirkstoffe verringern.